
Was ist Flexibilität?
Flexibilität im Energiesystem bezieht sich auf die Fähigkeit, sich an Änderungen im Stromangebot und -verbrauch anzupassen. Sie ist entscheidend für die Integration intermittierender dezentraler Energiequellen (DER) wie Wind- und Solarenergie, die witterungsbedingt schwanken. Ein flexibles Stromnetz kann zudem Nachfrageschwankungen ausgleichen, überschüssige Energie speichern und auf Störungen oder Ausfälle im System reagieren.
Diese Anpassungsfähigkeit trägt dazu bei, Kosten zu senken, die Effizienz zu steigern und die Netzstabilität zu gewährleisten. Flexibilität ist der Schlüssel für den Übergang zu einem saubereren, widerstandsfähigeren und nachhaltigeren Energiesystem.
TSO-DSO-Koordination
Mit der zunehmenden Flexibilität in Verteilnetzen wird die Koordination zwischen Übertragungsnetzbetreibern (TSOs) und Verteilnetzbetreibern (DSOs) essenziell, um die Netzflexibilität effizient zu verwalten. Diese Zusammenarbeit stellt sicher, dass sowohl Übertragungs- als auch Verteilnetze dezentrale Energiequellen (DER) nutzen können, während die Netzstabilität gewährleistet bleibt und Herausforderungen wie Engpässe und Ausgleichsmaßnahmen bewältigt werden.
Es gibt drei primäre Koordinationsmodelle: zentralisiert, dezentralisiert und hybrid
Zentralisiertes Koordinationsmodell
Im zentralisierten Modell hat der Übertragungsnetzbetreiber (TSO) die vollständige Kontrolle über die Anpassung der Einsatzplanung von Ressourcen sowohl für das Übertragungs- als auch für das Verteilnetz. Die Rolle des Verteilnetzbetreibers (DSO) beschränkt sich darauf, dem TSO relevante Betriebsdaten bereitzustellen, die dieser zur Optimierung der installierten Ressourcen verwendet.
Dieses Modell vereinfacht die Koordination, da eine zentrale Einheit – typischerweise der TSO – für das Gleichgewicht und die Stabilität verantwortlich ist. Allerdings wird das Optimierungsproblem des TSOs komplexer, da sowohl die Beschränkungen der Übertragungs- als auch der Verteilnetze berücksichtigt werden müssen. Dies kann in großflächigen Netzen zu potenziellen rechnerischen Herausforderungen führen
Dezentralisiertes Koordinationsmodell
Im dezentralisierten Modell ist jeder Verteilnetzbetreiber (DSO) dafür verantwortlich, die Ressourcen innerhalb seines eigenen Verteilnetzes zu verwalten und koordiniert sich mit dem Übertragungsnetzbetreiber (TSO) lediglich durch die Weitergabe aggregierter Flexibilitätsinformationen. Der DSO hat mehr Autonomie, um lokale Probleme zu lösen, was dieses Modell besonders für Systeme mit hohen Anteilen an dezentralen Energiequellen (DER) und verteilter Steuerung geeignet macht.
Da der TSO keine detaillierten Betriebsdaten von den DSOs benötigt, wird das Datenübertragungsvolumen reduziert, was die Kommunikationsbelastung senkt und möglicherweise die Datensicherheit verbessert. Allerdings kann dieses Modell Herausforderungen für die übergeordnete Netzstabilität mit sich bringen, da die DSOs unterschiedliche Betriebsprioritäten haben könnten, die mit denen des TSOs in Konflikt stehen und die systemweite Optimierung erschweren können.
Hybrides Koordinationsmodell
Das hybride Koordinationsmodell kombiniert Elemente der zentralisierten und dezentralisierten Ansätze. In diesem Modell bleibt der Übertragungsnetzbetreiber (TSO) für die netzweite Optimierung verantwortlich, während die Verteilnetzbetreiber (DSOs) die Flexibilitätsangebote von Ressourcen innerhalb ihrer Netze validieren und aggregieren. Die validierten Angebote werden anschließend an den TSO übermittelt, der sie in das umfassende Optimierungsproblem einbezieht.
Dieser Ansatz verteilt einige Verantwortlichkeiten auf die Ebene der DSOs, was die rechnerische Belastung des TSOs verringert und den Datenübertragungsbedarf mindert. Das hybride Modell ermöglicht es den DSOs zudem, lokale Einschränkungen zu verwalten, während gleichzeitig sichergestellt wird, dass die Flexibilitätsressourcen unter der Aufsicht des TSOs zur allgemeinen Netzstabilität beitragen.
Obwohl dieses Modell Effizienz und Anpassungsfähigkeit verbessert, erfordert es robuste Kommunikationsprotokolle und kann komplexe Entscheidungsprozesse auf beiden Ebenen, sowohl bei den DSOs als auch beim TSO, mit sich bringen
Aggregationsmethoden für Flexibilität
Zur Umsetzung dieser Koordinationsmodelle sind Aggregationsmethoden für Flexibilitätsressourcen von entscheidender Bedeutung. Dezentrale Energiequellen (DER) und flexible Leistungseinheiten können mithilfe geometrischer, datenbasierter und optimierungsbasierter Methoden aggregiert werden. Dabei kombinieren die Verteilnetzbetreiber (DSOs) das Flexibilitätspotenzial lokaler Ressourcen zu einem aggregierten Angebot.
Diese Methoden stellen sicher, dass Flexibilitätsressourcen effizient genutzt werden und in einer Weise eingesetzt werden können, die lokale Einschränkungen berücksichtigt und gleichzeitig die übergeordneten Anforderungen des Übertragungssystems unterstützt
Markt- und Netzkoordination
Marktbasierte Flexibilität und netzbasierte Flexibilität sind komplementäre Ansätze, die koordiniert werden können, um die Gesamtwirksamkeit und Zuverlässigkeit des Energiesystems zu verbessern.
Marktbasierte Flexibilität basiert auf wirtschaftlichen Anreizen, bei denen Marktteilnehmer – wie Kraftwerksbetreiber, Speicherbetreiber und Anbieter von Laststeuerung – dafür entlohnt werden, ihre Erzeugung oder ihren Verbrauch in Reaktion auf Preissignale oder Systemanforderungen anzupassen. Dies ermöglicht eine dynamische Allokation von Ressourcen, sodass die kosteneffizientesten Flexibilitätsoptionen zuerst genutzt werden.
Netzbasierte Flexibilität hingegen bezieht sich auf die Betriebsfähigkeit des Netzes, Angebot und Nachfrage innerhalb der Grenzen des Energiesystems auszugleichen. Dies erfolgt häufig durch technische Lösungen wie Reservekapazitäten, Netzverbindungen und den Einsatz von Speichern.
Koordination von marktbasierter und netzbasierter Flexibilität
Die Koordination dieser beiden Flexibilitätsformen erfordert eine Abstimmung zwischen Marktsignalen und Netzbetrieb, um sicherzustellen, dass Flexibilitätsressourcen optimal genutzt werden. Beispielsweise können Netzbetreiber die Schwankungen von Nachfrage und Erzeugung vorhersagen und dem Markt signalisieren, bestimmte Ressourcen – wie flexible Erzeuger oder nachfrageseitige Maßnahmen – bei Bedarf zu aktivieren. Im Gegenzug können Marktteilnehmer ihre Dienstleistungen über flexible Preismechanismen anbieten, wodurch Netzbetreiber die geeignetsten Ressourcen basierend auf Kosten und Verfügbarkeit auswählen können.
Darüber hinaus können Netzinformationen zu Spitzenzeiten in Marktmechanismen integriert werden, sodass diese auf Preissignale reagieren und Dienstleistungen wie Spitzenlastkappung (Peak Shaving) erbringen können.
Ein koordinierter Ansatz hilft, eine Überabhängigkeit von einer einzigen Ressourcenart zu vermeiden und sorgt für ein widerstandsfähigeres und effizienteres System. Gleichzeitig fördert er eine größere Beteiligung einer Vielzahl von Akteuren, von großen Versorgungsunternehmen bis hin zu kleineren, dezentralen Energieerzeugern.
Um diese Koordination zu unterstützen, sind robuste Plattformen für den Datenaustausch und die Kommunikation unerlässlich, die eine Echtzeitsichtbarkeit und Reaktionsfähigkeit zwischen Marktteilnehmern und Netzbetreibern ermöglichen. Zusätzlich müssen regulatorische Rahmenbedingungen geschaffen werden, die sowohl netzbasierte als auch marktbasierte Flexibilität fördern und sicherstellen, dass die Kosten für die Bereitstellung dieser Dienstleistungen gerecht verteilt werden.
Letztendlich gewährleistet eine effektive Koordination, dass das Energiesystem die Nachfrage zuverlässig, effizient und zu den geringstmöglichen Kosten decken kann und gleichzeitig den Übergang zu einer saubereren und nachhaltigeren Energiezukunft erleichtert.
Redispatch 3.0
Ziel des Projekts Redispatch 3.0 ist es, das koordinierte Engpassmanagement zwischen Verteilnetzbetreibern (DSOs) und Übertragungsnetzbetreibern (TSOs) zu verbessern, wobei Flexibilitäten aus Niederspannungssystemen berücksichtigt werden. Im Rahmen dieses Projekts hat unsere Forschungsgruppe eine Hardware-in-the-Loop-Simulationsumgebung zur Validierung von Steuerungsanwendungen im Verteilnetz eingerichtet. Dieses Experiment-Setup bildet reale Energiesysteme nach und umfasst zentrale Marktakteure wie TSOs, DSOs, Netzbetreiber, Messstellenbetreiber, Aggregatoren und Endverbraucher.
Das Experiment-Setup integriert sowohl physische als auch virtuelle Geräte, um eine realistische Test- und Validierungsumgebung zu schaffen. Dazu gehören unter anderem Fernsteuerungseinheiten (RTUs), Energiemanagementsysteme, Smart-Meter-Gateways und steuerbare lokale Systeme (CLS). Mehrere Anwendungsfälle können in Echtzeit getestet und validiert werden, wie beispielsweise das Engpassmanagement in Niederspannungssystemen oder Aggregationsansätze zur Koordination von Flexibilitäten.
International Smart Grid Action Network (ISGAN)
Aggregatoren können die Anzahl aktiver Kunden erhöhen und ungenutzte dezentrale Energiequellen (DER) in Niederspannungssystemen erschließen, indem sie als Vermittler Flexibilität zwischen Marktteilnehmern verwalten und koordinieren. Unsere Forschungsgruppe untersucht Koordinationsstrategien für die Interaktionen zwischen TSO, DSO und Kunden. Wir haben ein Veröffentlichung mit dem Titel „Wie können Aggregatoren die TSO-DSO-Kunden-Koordination in digitalisierten Energiesystemen verbessern?“ vorgestellt.
Diese Veröffentlichung analysiert die Rollen und Definitionen von Aggregatoren und skizziert potenzielle Koordinationsansätze zwischen Aggregatoren, Netzbetreibern, aktiven Kunden und anderen Marktteilnehmern unter Verwendung des Smart Grid Architecture Model (SGAM).
E-Mail: sharaf.aldin.alsharif(at)offis.de, Telefon: +49 441 9722-748, Raum: Flx-E
E-Mail: jirapa.kamsamrong(at)offis.de, Telefon: +49 441 9722-233, Raum: E85
Matteo Barsanti and Jan Sören Schwarz and Faten Ghali and Selin Yilmaz and Sebastian Lehnhoff and Claudia R. Binder; Energy Research & Social Science; 01 / 2025
Otte, Marcel and Kamsamrong, Jirapa and Lehnhoff, Sebastian; ISGAN 2024; July / 2024
Schwarz, Jan Sören and Perez, Leonard Enrique Ramos and Pham, Minh Cong and Heussen, Kai and Tran, Quoc Tuan; 2024 Open Source Modelling and Simulation of Energy Systems (OSMSES); 09 / 2024
Clausen, Christian Skafte Beck and Lehnhoff, Sebastian and Schwarz, Jan Sören and Jørgensen, Bo Nørregaard and Ma, Zheng Grace; Energy Informatics; 2024
Pirta-Dreimane, Rūta, Andrejs Romanovs, Jana Bikovska, Jānis Pekša, Tero Vartiainen, Maria Valliou, Jirapa Kamsamrong, and Bahaa Eltahawy; Energies; April / 2024
Otte, Marcel and Krüger, Carsten and Das, Pratyush and Rohjans, Sebastian and Lehnhoff, Sebastian; Energy Informatics Academy Conference; October / 2024
Otte, Marcel; DACH+ Conference on Energy Informatics 2024; October / 2024
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Schwarz, Jan Soeren and Pham, Minh Cong and Tran, Quoc Tuan and Heussen, Kai; 2023 Asia Meeting on Environment and Electrical Engineering (EEE-AM); 01 / 2024
Raczka, Sebastian and Puhe, Frederik and Krueger, Carsten and Arph, Jan and Rehtanz, Christian; ETG Congress 2023; Juli / 2023