Bis 2030 sollen bereits 80 Prozent des deutschen Stromverbrauchs aus erneuerbaren Energien stammen. 2022 waren es rund 46 Prozent. Der Anteil muss sich also innerhalb weniger Jahre fast verdoppeln. Die Energiewende ist damit eine der größten Herausforderungen unserer Zeit – neue Technologien müssen entwickelt, Innovationen vorangetrieben werden, auch im Bereich der Informatik.
OFFIS spielt dabei mit verschiedenen Forschungsprojekten eine wegweisende Rolle, unter anderem in Bezug auf die Zukunft des Stromnetzes – eine der komplexesten Infrastrukturen, die wir auf der Erde haben. Das Stromnetz ist die Grundlage für unsere modernen Gesellschaften und bildet die größten zusammenhängenden Netzwerke der Welt, nach dem Internet. Im Gegensatz zum Internet breiten sich Fehler im Stromnetz allerdings schnell im gesamten System aus und haben das Potenzial, das Gesamtsystem zu gefährden. Prognosen, Fehler und Anomalien müssen daher in Echtzeit erkannt werden – und zwar automatisiert.
Die Zukunft des Stromnetzes: Redispatch 3.0 als Schlüssel zur Dezentralisierung
Mit der Energiewende kommen außerdem neue Herausforderungen auf das Stromnetz zu. Gab es in der Vergangenheit vor allem wenige große, zentrale Kraftwerke, kommen nun immer mehr kleine, dezentrale Erzeuger dazu. Das Stromnetz muss sich also anpassen, stärker digital vernetzt werden. Hier kommt ein entscheidendes, von OFFIS koordiniertes Forschungsprojekt ins Spiel: Redispatch 3.0. Das Ziel des vom Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz geförderten Vorhabens: eine sichere und effektive Energieversorgung auch bei einer wachsenden Anzahl von dezentralen Anlagen zu gewährleisten. An dem dreijährigen Verbundprojekt beteiligen sich fünfzehn Partner aus Industrie, Forschung sowie Übertragungs- und Verteilnetzbetreiber.
Redispatch ist die Bezeichnung eines klassischen Prozesses, um Engpässe und Störfälle im Stromnetz zu vermeiden. Dafür wird die Stromproduktion in Kraftwerken kurzfristig nachgesteuert, um die Auslastung des Stromnetzes besser zu verteilen. Traditionell lag der Redispatch in der Verantwortung der Übertragungsnetzbetreiber. Seit 2021 nehmen mit der Umsetzung von Redispatch 2.0 auch Verteilernetzbetreiber eine Schlüsselrolle ein, um Netzengpässe auf niedrigeren Spannungsebenen zu vermeiden.
Mit der Energiewende werden in Zukunft Millionen von kleineren, steuerbaren Energiesystemen deutschland- und europaweit in das Stromnetz integriert: Jeder Haushalt mit einer eigenen Solaranlage, jedes Elektroauto, jede Wärmepumpe wird Teil des Stromnetzes. Um Überlastungen und Engpässe zu vermeiden, muss also eine flexible Steuerung der Stromerzeugung intelligent und ausfallsicher koordiniert werden – eine Aufgabe, die OFFIS mit Redispatch 3.0 lösen will. Derzeit werden in Labor- und Feldtests die Möglichkeiten und Herausforderungen zur Steuerung von Kleinstanlagen sowie deren Wirksamkeit bei der Kompensation von großräumigen Netzengpässen in Zusammenarbeit mit Technologie- und Leitsystemherstellern getestet – für ein zukunftssicheres Stromnetz, wenn beispielsweise die Erzeugung von erneuerbaren Energien wie Windkraft aufgrund von Starkwind die Leitungen von Norden nach Süden zu überlasten droht.
Wärmewende Nordwest: Forschung und Innovation für nachhaltige Wärme
Auch der Wärmesektor muss dringend effizienter und nachhaltiger gestaltet werden – Stichwort: Wärmewende. Allerdings wird derzeit noch über 80 Prozent der Wärmenachfrage durch die Verbrennung von fossilen Energieträgern in Deutschland gedeckt. Die Bundesregierung will durch mehr Energieeffizienz und den Umstieg aufs Heizen mit erneuerbaren Energien die Wärmewende in den kommenden Jahren deutlich voranbringen. Auch hier spielt die Energieinformatik eine entscheidende Rolle. Wenn beispielsweise kurz- und mittelfristig kein Gas zur Verfügung steht, wird auch im Wärmesektor mit Strom geheizt. Damit steigen der Bedarf und der Verbrauch im Stromnetz an. Wie beim Redispatch 3.0 gilt es auch hier, die Netzstabilität zu gewährleisten, Anlagen fernsteuerbar zu machen, Technologien, Wärmepumpen zu automatisieren, Prognosen zu entwickeln.
OFFIS leitet mit dem Projekt „Wärmewende Nordwest“ dabei eines der größten Forschungsprojekte zum Thema Wärmewende in Deutschland. Das Ziel ist die Erforschung und Umsetzung von innovativen und technologischen Aspekten der Digitalisierung im Zuge der Wärmewende. Das mehrjährige Vorhaben wird von 21 regionalen Partnern aus Industrie, Forschung und Kommunalverwaltung in der Region Oldenburg/Bremen durchgeführt und vom Bundesministerium für Bildung und Forschung gefördert. Es umfasst sechs Forschungsfelder, darunter eine regionale Online-Plattform für Energieeffizienzoptimierungen, die Steuerung von Einzelanlagen, von Quartieren und Gebäuden, aber auch die kommunale Wärmeplanung. In einem Teilprojekt wurde die Abwärme eines Rechenzentrums auf dem Unicampus genutzt, um ein Schwimmbad zu heizen – mit Erfolg.
Um die Umstellung auf erneuerbare Energien voranzutreiben, müssen neben der Entwicklung innovativer Technologien gleichzeitig Fachkräfte ausgebildet werden. In Zusammenarbeit mit Berufsschulen wird auch dies im Rahmen der „Wärmewende Nordwest“ forciert.
Was in Zukunft immer wichtiger wird, ist vor allem eines: die Einbeziehung der Menschen. Auch hier geht OFFIS einen entscheidenden Schritt. So wurden Anwohnerinnen und Anwohner bereits im Projekt „Energetisches Nachbarschaftsquartier“ – dem Vorgängerprojekt zu „Wärmewende Nordwest“ – konkret in die Planung zukünftiger Quartiere mit einbezogen. Sie konnten interaktiv mitentscheiden, wie die Quartiere aufgebaut werden: Wo steht das Parkhaus? Wo werden Laufwege identifiziert? Wo werden Gebäude platziert?
Eine erfolgreiche Energiewende im Strom- und Gebäudesektor erfordert eben nicht nur technologische Innovationen, sondern auch ein Umdenken in der Gesellschaft, die Bereitschaft, Teil der Energiewende zu werden.
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