Die Politik unternimmt diverse Maßnahmen, um diesen unvermeidbaren Entwicklungstendenzen Stand zu halten. Im Rahmen der Konzertierten Aktion Pflege verfolgt der Zusammenschluss dreier Bundesministerien seit Mitte 2019 das Ziel, die Attraktivität des Pflegeberufs zu steigern. So sollen neben mehr Personal bzw. Auszubildenden und einer höheren Bezahlung Pflegekräfte zukünftig mehr Verantwortung erhalten. Darüber hinaus soll die Digitalisierung der Pflege helfen, Pflegekräfte in ihrem Alltag zu entlasten, um den sich ausdehnenden Pflegenotstand einzudämmen.
Das OFFIS widmet sich dieser gesellschaftlich wichtigen Thematik und koordiniert seit Mitte 2017 das vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) geförderte Forschungsprojekt Pflegeinnovationszentrum (PIZ) als Teil des Clusters „Zukunft der Pflege“.
Neben dem PIZ, welches vorrangig die Erforschung neuer Technologien und Konzepte für die Pflege verfolgt, besteht das Cluster aus vier Pflegepraxiszentren (PPZ) in Berlin, Hannover, Freiburg und Nürnberg, in denen innovative Pflegetechnologien und -konzepte im Pflegealltag erprobt werden. Forschung, Wirtschaft und Pflegepraxis arbeiten so gemeinsam an innovativen Lösungen für die Pflegebranche in Deutschland. Das Cluster vermittelt zudem sein Know-how auch in die pflegerische Aus- und Weiterbildung und arbeitet an Modulen für die akademische Pflegebildung. Insgesamt stellt das BMBF für die Aktivitäten des Clusters 20 Millionen Euro über einen Förderzeitraum von fünf Jahren zur Verfügung.
Es ist davon auszugehen, dass Pflege in Zukunft deutlich technisierter sein wird. Somit müssen zukünftigen Pflegekräften in der Ausbildung sowie in der Pflege Beschäftigten in Fort- und Weiterbildungen neue Schulungsmethoden und -inhalte zur Verfügung stehen. Unter Leitung von Dr. Wilko Heuten erforscht OFFIS daher den Einsatz von Virtual Reality (VR) sowie Augmented Reality (AR), um Qualifizierungs- und Ausbildungsinhalte anschaulich erlebbar zu machen. Der Einsatz dieser Technologien bietet eine alternative Möglichkeit, aufwändig nachzustellende Praxissituationen zu simulieren und standortunabhängig in die Pflegeausbildung und -weiterbildung zu integrieren.
In einem zweiten Forschungsstrang erforschen die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des OFFIS zusammen mit Prof. Andreas Hein den Einsatz von Robotik mit dem Ziel, Pflegekräfte körperlich zu entlasten. In der Pflegebranche sind täglich überdurchschnittlich hohe Ausfälle aufgrund von Muskel-Skelett-Erkrankungen zu beobachten – häufiger als in anderen Berufen handelt es sich dabei um Langzeiterkrankungen. Dies ist kein Wunder, wenn man bedenkt, welchen körperlichen Belastungen Pflegekräfte im Alltag bei der Mobilisation und dem Transfer von Pflegebedürftigen ausgesetzt sind. Um diesem Problem zu begegnen, sollen Roboterarme zukünftig bei entsprechend kraftaufwändigen Pflegetätigkeiten automatisch unterstützen und als „dritte Hand“ in Zusammenarbeit mit der Pflegekraft die Last gemeinsam tragen. Diese Szenarien werden in enger Abstimmung mit den Projektpartnern des PIZ und unter Einbezug auch ethischer und rechtlicher Fragen interdisziplinär erforscht.
Innerhalb der PIZ werden vier sogenannte Reallabore von der bislang kaum technisch unterstützten ambulanten Pflege im häuslichen Umfeld bis hin zur hochtechnisierten Intensivpflege aufgebaut. Als ein zukünftiger Schwerpunkt wird OFFIS Pflegetechnologien in der Intensivpflege fokussieren und an existierende Projektergebnisse und -erfahrungen anknüpfen (siehe zum Beispiel das erfolgreich abgeschlossene BMBF-Projekt AlarmRedux). Dazu entsteht dieses Jahr im OFFIS-Gebäude ein aufwändig gestaltetes Labor namens LIFE („Lab for Intensive Care Facility Experience“), das einem Patientenzimmer einer Intensivstation nachempfunden sein wird. In Verbindung mit der Pflegedienstzentrale und dem etablierten IDEAAL-Labor für die ambulante Pflege entsteht für OFFIS und zukünftige Forschungsprojekte eine einzigartige Laborinfrastruktur. Strategische Forschungsfragen adressieren beispielweise den Einsatz von Künstlicher Intelligenz an der Schnittstelle zwischen unterschiedlichen Pflegesettings.
Zahlreiche Fakten verdeutlichen, dass das öffentliche Interesse an den Laboren und OFFIS-Forschungsaktivitäten für die Pflege steigt: Mittlerweile werden jährlich mehr als 400 Besucher durch die OFFIS-Labore geführt und auch diverse Fernseh- und Radiosender haben Beiträge in den OFFIS-Laboren produziert. Im Jahr 2018 richtete OFFIS die 1. Clusterkonferenz des Clusters Zukunft der Pflege mit 200 Teilnehmenden aus – die 2. Clusterkonferenz wurde im September 2019 vom PPZ-Berlin organisiert und hat mit über 300 Teilnehmenden das wachsende Interesse an den Aktivitäten des Clusters bestätigt.
Neben der Clusterkonferenz betreuen die Akteure des Clusters Zukunft der Pflege jährlich einen gemeinsamen Stand auf der Ausstellung des Deutschen Pflegetags und demonstrieren innovative Pflegetechnologien. Insbesondere die Forschungen zur Robotik für die Pflege bedingen eine angemessene ethische Reflexion. Aus diesem Grund haben Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des OFFIS in Zusammenarbeit mit der Universität Oldenburg und Prof. Andreas Hein ihre aktuellen Forschungsergebnisse auch auf der Jahrestagung des Deutschen Ethikrats in Berlin vorgestellt und aus ethischer Perspektive mit Experten diskutiert. Neben der Fachöffentlichkeit und Experten der Pflegebranche sucht OFFIS auch den direkten Austausch mit jungen Nachwuchskräften, um sie frühzeitig an innovative Pflegetechnologien heranzuführen und ihre Ideen und Konzepte in den Entwicklungsprozess einfließen zu lassen.
Dr.-Ing. Tobias Krahn, Koordinator des Pflegeinnovationszentrums
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