In i-Automate soll eine flexible Systemarchitektur erforscht und entworfen werden, die es ermöglicht, sowohl schutz- und leittechnische Funktionen als insbesondere auch Smart-Grid-Automatisierungs-funktionen auf einer standardisierten Hardware abzubilden. Die Gesamtlösung muss durchgängig und automatisiert prüf- und verifizierbar sein. In Feldversuchen soll die Funktionsfähigkeit und das Verhalten im Betrieb unter realen Netzbedingungen nachgewiesen werden.
Durch den aktuellen Wandel der elektrischen Energieversorgung hin zu dezentralen erneuerbaren Energiequellen werden stets auch Anpassungen an der sekundärtechnischen Infrastruktur (Netzschutz-, Netzautomatisierungs- und Leittechniksysteme), welche die wesentlichen Mess-, Steuer- und Regelungsmöglichkeiten der Netzbetriebsführung darstellen, notwendig. Einige Eigenschaften konventioneller Schutz- und Leittechniksysteme erzeugen dabei einen großen betrieblichen und wirtschaftlichen Aufwand. Beispielsweise weisen heutige Schutz- und Leitgeräte eine starke Kopplung zwischen Hard- und Software auf und können nur für begrenzte, spezifische und vorab festgelegte Funktionen eingesetzt werden. Anpassungen oder Erweiterungen an der Schutz- und Leittechnik erfordern stets zeit- und kostenintensive Umbaumaßnahmen, zudem führen sie auch zu großem Aufwand bei der Planung und Instandhaltung. Neue oder erweiterte Schutz- und Automatisierungsfunktionen, wie sie für Smart Grids benötigt werden, bedürfen bislang spezifischer neuer Hard- und Softwarekomponenten. Eine flexible Funktionsergänzung basierend auf weiterverwendbarer Hardware ist bislang nicht vorgesehen. Demgegenüber wurde aber der Bedarf für neue Schutz- und Automatisierungsfunktionen zur Optimierung und Minimierung des notwendigen Netzzubaus speziell auf Verteilnetzebene in mehreren Studien gezeigt (dena-Verteilnetzstudie, dena-Studie Systemdienstleistungen 2030, BMWi-Verteilernetzstudie).
Vor diesem Hintergrund wurde in einem vorangegangenen Forschungsprojekt (i-Protect, Fördernummer 03ET7503) eine neuartige Schutz- und Leitsystemarchitektur auf Basis industrieller Automatisierungstechnik erforscht, die es ermöglicht, Hard- und Software zu trennen und Schutzfunktionen flexibel und modular konfigurierbar einzelnen Rechnermodulen zuzuordnen. In i Protect wurde die generelle Machbarkeit eines derartigen Plattformansatzes für die Anwendung in sicherheitskritischen Energieschutzsystemen gezeigt. Hierzu wurden Schutzfunktionen exemplarisch implementiert, ein Engineering-Verfahren für Schutzsysteme erstellt und die Funktion des Schutzsystems innerhalb einer Hardware-in-the-Loop-Laborumgebung getestet.
Der Bedarf für modular und flexibel konfigurierbare sowie prüf- und letztendlich zertifizier bare Automatisierungssysteme geht allerdings deutlich weiter. Insbesondere muss eine derartige Systemarchitektur neben heute bekannten überwiegend lokal-autonomen Schutzfunktionen auch übergeordnete, aggregierte und koordinierte Smart-Grid-Automatisierungsfunktionen zur Netzüberwachung und -steuerung flexibel erweiterbar ermöglichen.
Eine zu entwerfende innovative und offene Architektur nach dem Vorbild von i-Protect soll es ermöglichen, Funktionen zur Netzautomatisierung den aktuellen Anforderungen gerecht umzusetzen und gleichzeitig, im Sinne einer Zukunftssicherheit des technischen Systems, besser an zukünftige Bedingungen anpassbar zu machen.
Eine besondere Herausforderung als Folge dieser neu gewonnenen Flexibilität liegt jedoch in der funktionalen Prüfbarkeit des Systems hinsichtlich aller möglichen Konfigurationen als Basis für eine Zertifizierung für den realen Einsatz. Da nicht wie bislang ein einzelnes Gerät mit fester bzw. geschlossener Hard- und Software geprüft werden kann, sondern nur einzelne Module in einem frei konfigurierbaren und sich somit verändernden Gesamtsystem, sind völlig neue Prüfansätze zu entwerfen, die letztendlich eine automatisierte inkrementelle Prüfung der Systemlösung erlauben. Ebenso ist die Sicherheit von offenen Architekturen zu untersuchen, sobald die dort zu implementierenden Funktionen über die rein lokalen Schutzfunktionen hinaus hin zu verteilten Smart-Grid-Funktionen erweitert werden.
Daher besteht das Vorhaben unter anderem darin, den Architekturansatz für Smart-Grid-Funktionen zu erweitern und Verfahren für automatisierte und möglichst umfassende Prüfungen dieser neuartigen Systemlösung zu entwerfen. Um belastbare Aussagen hinsichtlich der Funktionalität und Integrierbarkeit dieser Systemlösung in die bestehende Netzschutz- und Netzleittechnik zu gewinnen, soll zudem ein Pilot- und Demonstrationsaufbau in Zusammenarbeit mit einem Netzbetreiber installiert und erprobt werden. Dafür soll ein angepasster Pilotaufbau in die Anlagentechnik eines Umspannwerks oder in verschiedene relevante Netzknoten des Verteilnetzes integriert werden. Das langfristige Monitoring des Pilotaufbaus und seines charakteristischen Verhaltens unter realen Bedingungen soll weitere Aufschlüsse über seine Systemeigenschaften liefern und Optimierungen ermöglichen. Die Energie Waldeck-Frankenberg GmbH als regionales Energieversorgungsunternehmen in einem der flächenmäßig größten Landkreise Hessens verfügt über die notwendige Infrastruktur für einen solchen Feldversuch. Darüber hinaus besitzt die Energie Waldeck-Frankenberg GmbH weitreichende Messdaten von in der Betriebshistorie aufgetretenen Netzfehlern bspw. in Form von Störschrieben, die für die Parametrierung der Pilotaufbau-Funktionen gewinnbringend genutzt werden können.
Die Integration von dezentralen, erneuerbaren Energien in das elektrische Energieversorgungsnetz in Deutschland wird immer wieder auch in Verbindung gebracht mit der Entwicklung eines intelligenten Mittel- und Niederspannungsnetzes (Smart Grid). Demzufolge sollen intelligente Funktionen für das Netz auch in diesen Spannungsebenen zur Verfügung stehen. Einige dieser Funktionen sind in Hoch- und Höchstspannungsebenen (HS-/HöS-Ebenen) schon etabliert. Jedoch sind die Schutz- und Leitgeräte aus diesen Spannungsebenen zu unflexibel und zu teuer, als dass sie für die Mittel- und Niederspannung (MS/NS) genutzt werden könnten. Bei der Nutzung dieser Geräte würde ein nicht unerheblicher betrieblicher und finanzieller Aufwand entstehen. Während bisher in diversen Forschungsprojekten lediglich einzelne Funktionalitäten eines Smart Grids implementiert und prototypisch getestet wurden, soll in diesem Forschungsvorhaben ein Gesamtkonzept für eine modular konfigurier- und prüfbaren Automatisierungsarchitektur für Smart Grids erforscht werden.
SESA-Lab
Carsten KrügerJorge VelasquezDavood BabazadehSebastian Lehnhoff; Energy Informatics; 2018
Jorge Velasquez, Carsten Krüger, Davood Babazadeh, Sebastian Lehnhoff, Rajkumar Palaniappan, Björn Bauernschmitt, Dominik Hilbrich, Christian Rehtanz; Powertech2019; 2019
Intelligente Schutz- und Leittechnik für elektrische Energienetze basierend auf zukünftigen IKT- und Automatisierungsarchitekturen